Uli Winters
Maschinen

Interview mit Uli Winters - November 2006 / Fragen: Klaus Fehling

Ein Bühnenbild für das Frankfurter Schauspiel, ein Lehrauftrag an der Universität in Leipzig und jeden Monat eine Kolumne in einem Magazin für Psychologie und Hirnforschung - Was für ein Künstler bist Du eigentlich?

Meine Lieblingsdefinition zum Begriff "Kunst" stammt von Serge Delaville: "Jeder Künstler imitiert etwas, das es noch gar nicht gibt". Das nicht Vorhandene imitieren kann man auf tausend verschiedene Arten und Weisen. Ein Bühnenbild schafft einen Raum, den der Zuschauer noch nie gesehen hat und an den er sich trotzdem erinnert. Sprache funktioniert aus künstlerischer Sicht genau so - Sie ist immer neu und doch kann sie nur sichtbar machen, was bereits da ist. "Kunst ist das spezielle Wie!", hat mein Professor Claus Böhmler immer gesagt. Da hatte er sehr recht. Künstler sein ist an kein Verfahren gebunden.

Ist Künstler ein Beruf (wie jeder andere)?

Nein. Der Künstlerberuf ist in gewisser Weise sogar das Gegenteil anderer Berufe. Um als Künstler sein Ziel zu erreichen, muss man es aus den Augen verlieren. Umwege können dann der schnellste Weg zum Ziel sein. Und dieses Ziel steht nicht so klar vor Augen wie das eines Bäckers - Man muss sich als Künstler selbst davon überzeugen, dass sich die ganze Arbeit lohnt. Das soll aber nicht heißen, dass Zwecklosigkeit ein Qualitätskriterium künstlerischer Arbeit ist.

Werbung und Kunst spielen auf der gleichen Klaviatur. Gibt es eine Schnittmenge von Kunst und Werbung?

Ja, beides ist Verführung. Kunst ist der Sirenenruf des Schönen und Wahren, Werbung ist der Lockstoff der schönen Waren. Es liegt sehr nahe, eine moralische Unterscheidung zwischen Kunst und Werbung zu treffen, es spricht sogar einiges dafür. Ich bin mit solchen Urteilen aber sehr vorsichtig, besonders in meiner Eigenschaft als Künstler. Was die Werbung betrifft, interessiere ich mich z.B. sehr für die psychische Grundausstattung des Menschen, auf deren Klaviatur Werbung und Kunst spielen. Viele meiner interaktiven Objekte verstehe ich in diesem Sinne als Versuchsanordung, die dem Benutzer etwas über seine eigene verdeckte Motivationsstruktur verrät - und mir auch! Wichtig dabei: man sollte Kunst und Werbung nie verwechseln, so wie auch Kunst und Kunsttheorie sich gegenseitig neutralisieren, wenn man sie nicht sehr präzise voneinander abgrenzt.

Was interessiert dich an Puppen? Mächtige Mittel der Verführung: Die Puppe als Gegenüber. Zunächst einmal genau dasselbe, was jeden Menschen unabhängig von seiner Kultur und seinem sonstigen Hintergrund an Puppen fasziniert. Es ist etwas ganz altes, ganz Grundsätzliches, für das ich keinen Namen habe. Puppen können auf sehr unmittelbare Weise fast jedes Gefühl im Menschen hervorrufen: Mitgefühl, Angst, Zärtlichkeit, das ganze Programm. Puppen sind mächtige Mittel der Verführung und können Menschen in eine Situation hineinziehen, bevor die kognitive Abwehr sich formiert hat. Unglaublich ist auch die Bereitschaft des menschlichen Gehirns, die Puppe als Gegenüber zu akzeptieren. Ich erlebe es immer wieder, dass ich nach Live-Veranstaltungen gefragt werde: "Und was haben Sie mit der Aufführung zu tun?" Die Leute vergessen schlicht, dass jemand die Puppen bewegt und ihnen eine Stimme gegeben haben muss.

Was ist wichtiger: Die Puppe oder die Performance?

Ungültige Frage. Bei den Literaturlesungen ist es etwa so, dass die Puppen auf dem Tisch des Dichters sitzen und sich immer wieder in seine Darbietung einschalten. Ich spreche diese Puppen live aus einem Nebenraum und stelle an der Reaktion des Publikums fest, dass sie den Zuhörern eine große Erleichterung verschaffen: Indem sie das Pathos einer Dichterlesung unterlaufen und schamlos ihre eigenen Vierzeiler vortragen, befreien sie die Zuhörer von einer gewissen Kunstrezipientenlähmung und öffnen Sie auf neue Weise für die Lesung, ohne deren künstlerischen Ernst zu schmälern.

Bist du ein Pionier?

Eine gewisse Allergie gegen Langeweile, ein Zwang, die Dinge anders zu tun, ist sicherlich eine Triebkraft der Kunst. Meine ehrlichste Antwort auf die Frage, warum ich meine Maschinen baue ist diese: Ich will sie sehen. Ich will, dass es sie gibt, weil ich es schade finde, dass es sie nicht gibt. Man könnte sagen, ein Pionier sei jemand, der ungern einen Weg zweimal geht, sogar dann, wenn ihn beim ersten Mal jemand anderes gegangen ist. Dann bin ich auf jeden Fall einer. Ich hasse übrigens nichts mehr, als wenn ich ein Objekt ein zweites Mal bauen muss. Schrecklich!

Diese Maus nagt gerne Kabel. Hattest du kein Mitleid mit den Hamstern und Mäusen?

Nein. Ich habe meine tierischen Mitarbeiter immer sehr zuvorkommend behandelt. Die Hamster zum Beispiel tun einfach nichts lieber, als im Rad zu laufen. Selbst in unserem 40qm Areal, wo sie frei laufen konnten, haben sie ihre Laufradvorliebe nicht aufgegeben. Die Mäuse bei BYTE haben sich sogar so wohl gefühlt, dass sie alle Junge bekommen haben, obwohl es sich nach Auskunft der Zoohandlung ausnahmslos um Männchen handelte. Dilemmamaschine mit Rosen

Hast du etwas gegen Teddybären und Blumen?

Der "Teddyautomat", "Toys in the Attic" und die "Rosenschneidemaschine" sind Dilemma-Maschinen. Was mich daran interessiert, ist der psychologische Aspekt: Es sind Versuchsaufbauten, in denen der Betrachter sich zwischen Lust und Moral entscheiden muss. Schütze ich den Teddy und verzichte auf die "Action"? Schaue ich der Puppe beim Ertrinken zu, obwohl meine Anwesenheit dieses Ertrinken erst auslöst? Wie gehen Menschen mit unverschuldeten Schuldgefühlen um? Wie beziehen sie Position zu den Folgen des eigenen Tuns? Opfert man einen zweiten Euro nur um den Pornofilm zu stoppen, den man unter aller Augen durch Einwurf des ersten Euro nichts ahnend gestartet hat? Das hat nichts mit Publikumsverschaukelung zu tun, aber solche Entscheidungen für oder gegen eigene Verantwortung sind brisanter denn je. Das ist für mich eine politische Dimension, die aus meiner Sicht einzige politische Dimension, die der Kunst angemessen ist.

Ist dein Schreiben schaman-o-matisch?

Schamanomatik ist ein ganz alter Arbeitsbegriff von mir, aber ich mag ihn immer noch. In ihm schwingen alle Ebenen der Kunst, die mich faszinieren: das Ritual, der Kontakt zu den unsichtbaren Mächten, die Mechanik des Spirituellen und die elektrische Natur des Bewusstseins. Schreiben führt im Idealfall in einen solchen schamanomatischen Zustand. Ich würde mich gern drei Monate einschließen und ein Buch schreiben. Das möchten, glaube ich, alle, oder? Wer spricht hier Flaggenalphabeth?

Deine Figuren drücken sich oft in kryptischen Codes aus, die, wie beim Fahnenmännchen, nur von Spezialisten verstanden werden können. Willst Du nicht, dass jeder Dich versteht?

"Verstehen" ist in diesem Zusammenhang ein gefährlich unscharfer Begriff. Die Vorstellung, man könne oder müsse Kunst verstehen, führt in die falsche Richtung. Die einen glauben dann, "keine Ahnung von Kunst" zu haben und wenden sich ab, die anderen packen die Exegese-Skalpelle aus - Und beide verpassen das, worum es eigentlich geht. Das, was an Kunst gut ist, muss meiner Meinung nach immer unabhängig von irgendwelchen speziellen, elaborierten Rezeptionsfähigkeiten sein. Ich hasse Drudelkunst, worunter ich all jene Kunstprodukte fasse, die irgendeinen "Inhalt verschlüsseln", den der Betrachter dann, wenn er schlau genug ist, wieder "entschlüsseln" darf. Im Fall des Fahnenmännchens ist viel interessanter, wie es sich anfühlt, eine "Botschaft" zu erhalten, die man nicht entschlüsseln kann. Man könnte meinen, eine unverständliche Botschaft sei so gut wie gar keine, aber das ist keineswegs der Fall. Kurz: es geht nicht darum, die Kunst zu verstehen, sondern immer nur darum, sich selbst oder die Welt zu verstehen. Weggehen oder zusehen, wie sie ertrinkt?

Arbeitest du alleine?

Manchmal sehr gern. Manchmal überhaupt nicht. Zusammenarbeit ist etwas Magisches, wenn sie durch die Sache motiviert ist. Ich kann mir Zusammenarbeit nur Projektweise vorstellen, auch wenn manche Projekte vielleicht ein halbes Leben lang dauern. Es bleibt aber auch in solchen Kollaborationen dabei: der kreative Prozess ist im Grunde ein sehr einsamer.

Was bedeutet dir eine gute Mannschaft?

Viel. Ich träume von einer Factory im Sinne Andy Warhols, einen Arbeitsbienenstock, ein Labor, in dem Ideen fließen können und sofort ihrer Umsetzung anheim fallen, bevor es zu spät für sie ist. Ich leide an der Tatsache, dass ich aus Kapazitätsgründen nur einen so geringen Teil meiner Ideen umsetzen kann. Ich finde im übrigen das Leben viel zu kurz. Ich habe aber das Glück, mit einigen Leuten zusammen zu arbeiten, denen es ähnlich geht und mit denen man sehr viel mit ebensoviel Spass und Ernst schaffen kann.

Mit wem - egal ob lebendig oder tot - hättest du gerne einmal zusammengearbeitet?

Roberto Benigni, Helge Schneider, Tom Waits, Fischli und Weiss. Außerdem mit Joseph Beuys, damit ich endlich verstehe, warum alle, die ihn jemals gesehen haben, bis heute in Trance herumlaufen.


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