Andreas Sansoni
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German Forests

"Denn gestehen wir es nur: die Landschaft ist ein Fremdes für uns und man ist furchtbar allein unter Bäumen, die blühen und unter Bächen, die vorübergehen. (...) Denn so geheimnisvoll der Tod sein mag, geheimnisvoller noch ist ein Leben, das nicht unser Leben ist, das nicht an uns teilnimmt und, gleichsam ohne uns zu sehen, seine Feste feiert, denen wir mit einer gewissen Verlegenheit, wie zufällig kommende Gäste, die eine andere Sprache sprechen, zusehen."

Ein Stück Wirklichkeit: deutscher Wald - botanisch identifizierbar als Buchenwald, partiell mit Eiche, Kiefer, Ahorn und Birke durchsetzt, kurz: zeitgenössischer, mitteleuropäischer Mischwald mit forstwirtschaftlich vorbildlicher Naturverjüngung. Der szenische Ort der Fotografien von Andreas Sansoni wirkt vertraut, aber ist er wirklich das, wofür wir ihn halten?

Zum einen ist die Fotografie als Garant von Wirklichkeit suspekt geworden und die suggerierte Objektivität des Objektivs längst widerlegt. Zum anderen besitzen die Bilder über die reine Abbildlichkeit hinaus neben ihrer Konnotations- und Assoziationsleistung eine semantische Qualität, die Teil von Sansonis ästhetischer Strategie ist. Denn wer Landschaft fotografiert, transportiert zunächst auch semantische und bildnerische Stereotypen: Landschaft erscheint als suggestiver Raum und als Bezugselement menschlicher Selbstverortung.

In ihrer aus gezähmtem Wildwuchs und Kalkül bestehenden Natur, wird Landschaft zur Projektionsebene individueller und archetypischer Erwartungen und Sehnsüchte. Man muß nicht erst an Caspar David Friedrich erinnern, um diese seltsame Melancholie, die ein in kontemplativer Naturbetrachtung verharrendes Individuum ausstrahlt, als ikonographischen Topos zu entlarven. Dass sich diese Befindlichkeit selbst in den vorliegenden Reproduktionen domestizierter Natur noch hervorrufen läßt, mutet dann kaum noch seltsam an. Das Verhältnis zwischen dem, was die Fotografie zeigt und dem, was sie "anmutet", ist genau jener Bereich, der Andreas Sansoni als Fotografen interessiert. Abgebildetes und das "Wie" des Abgebildetseins korrespondieren miteinander.

Jedes Bild muss, um Bild zu sein, auf seiner Oberfläche etwas zeigen, das an dieser Stelle selbst nicht vorhanden ist: reine Sichtbarkeit. Die Wirklichkeitsreferenz ist Illusion. Jedes Bild - vor allem auch das fotografische - ist ein sichtbarer von Präsenz und Absenz.

Unsere Wahrnehmung kann uns nicht den erhofften direkten Zugang zu den Dingen verschaffen, trennt uns vielmehr von ihnen. Die visuelle Sehnsucht begehrt das Objekt, aber was wir sehen, ist nur sein Abbild.

Es gibt eine Zone des Vagen, der Unruhe, die zwischen dem einerseits Dokumentarischen, Faktischen, und dem andererseits Fiktiven der Fotografien von Andreas Sansoni liegt. Das ist die Wirkung der unaufdringlichen Szenerien: etwas Unbestimmtes, das dem Offensichtlichen entgegentritt.

Während Gerhard Richter jede Referenz an die Schönheit seiner gemalten Landschaften nur zynisch wertet, ignoriert Sansoni sehnsuchtsauslösende Momente keineswegs. Der Anklang von Schönheit und Erwartung erweist sich jedoch als trügerisch, weil er die eigene Zerstörung impliziert. So entstehen Reservate einer Kategorie des Ästhetischen, die eine subtile Beunruhigung zurücklassen.

Sansoni arbeitet an der Peripherie bewohnter und kultivierter Land-Räume, an ihm vertrauten, alltäglichen Orten, für ihn leicht erreichbar und von anderen häufig übersehen.

Dass hier die reale Natur und Landschaft besonders zugerichtet wurde, bleibt zunächst dem Blick entzogen. Zwar ist hier bereits einiges an Gras über Panzersperren und Westwallruinen gewachsen, aber trotzdem bleibt eine Ahnung von Gefährdung und Verdrängung. Das Grauen bleibt mühsam verborgen unter der Oberfläche. Denn diese reale, fast "idealtypisch verklärte" Landschaft ist auch heute noch militärisch genutzte Enklave, die sich euphemistisch als "Landschaftsschutzgebiet" zu tarnen sucht.

Sansoni hat nicht inszeniert oder arrangiert. Er zitiert lediglich in seinen Fotografien klassische Gestaltungsmuster der romantischen Landschaftsmalerei. Im Wissen darüber, dass über Jahrhunderte immer wieder ähnliche Bildvorstellungen in der Kunstgeschichte auftauchen. Denn es gibt offenbar eine gemeinsame, allen Menschen verständliche Sprache des Unbewussten, die man die Sprache der Bilder nennen könnte.

Sieht man Andreas Gurskys Fotos noch an, dass der Mensch zu klein ist für diese Welt, hat Andreas Sansoni ihn bereits ganz daraus verbannt. Die Szenerie bleibt menschenleer und das ist gleichzeitig ihr Noema: diese Landschaften sind schon jetzt von einer Verlassenheit umgeben, die ihr Verschwinden anzukündigen scheint.

Das Licht hat einen besonderen Anteil an dieser Wirkung: Sansoni arbeitet mit den vorgegebenen, natürlichen Lichtverhältnissen, bevorzugt eine vom Zwielicht beeinflusste ambivalente Stimmung, indem er den Zeitpunkt für seine Aufnahmen in die Dämmerung verlegt, bevor das Licht verschwindet.

Die Annäherung von Licht und Schatten, von Schönheit und Gefährdung ist es auch, die diesen Landschaftsbildern ihre melancholische Aura gibt.

Andreas Sansoni setzt auf die Intensität des Sehens, auf die stille Eindringlichkeit des Bildes. Nichts geschieht, nichts scheint je zu geschehen oder geschehen zu sein. Sein Blick ist auf das gerichtet, was die Atmosphäre eines natürlichen Raumes in seiner bewussten oder unbewussten Inszenierung ausmacht.

Fotografieren heißt vor allem auch Ausschneiden, das Sichtbare durchtrennen, so dass in den Aufnahmen eine nur vor dem Foto zu erfahrene Wirklichkeit sichtbar wird. Sansonis "German Forests" sind wie Ausschnitte, sie haben keinen Rand und keine Begrenzung, sie wachsen über sich selbst hinaus. Der serielle Charakter der "German Forests" drängt die Bilder geradezu in unser Bewusstsein. Damit wird - vielleicht - der Blick aus der Starre gelöst.



Helga Scholl

Der Titel weist ironisch auf die umgangssprachliche Bedeutung des amerikanischen - german forests" als abschätzige Bezeichnung für unrasierte Achselbehaarung. Rainer Maria Rilke: Einleitung (zu Worpswede). In: Werke, Bd. 111, 2, Prosa, Frankfurt am Main 1980, S. 471 ff. Vgl. Larnbert Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes. Reinbeck 1997, S. 1311. Vgl. Lars 0'Ericsson: See what it feels like, Ausstellungs-Katalog Rooseurn/Schweden, 1996. Andreas Gursky im Gespräch mit Bernhard Bürgi, Katalog der Kunsthalle Zürich, 1992.





Katalog: Andreas Sansoni - Optionen (Hrsg. Leopold-Hoesch-Museum und Günther-Peill-Stiftung, 2000)


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