Ulrich Wagner
Zeichen

Von Zeichen zu Zeichen

Was sieht einer auf Ulrich Wagners Arbeiten? Kreise, Quadrate, Senkrechten, Dreiecke nannten befragte Betrachter, auch Querbalken Trennstriche, Pfeile und vor allem Messerformen. Der waagerechte Balken zum Beispiel in Zeilenanordnung oder in einzelnen Flächen, die untereinander verbunden sind, komme als verbindendes Teil und der senkrechte komme als trennendes Teil vor.

Jene Zeichen, die auf diesen vorliegenden Seiten wiedergegeben sind, kann man vergleichen mit Anzeichen und Bildern. Von Anzeichen etwa in der Natur: von Spuren der Tiere, von der grün bewachsenen Seite der Bäume oder von der Verfärbung des Lackmuspapiers, von Bildern eines, der Tulpen malt, soll im Folgenden weniger die Rede sein - als vielmehr zunächst von Zeichen, wie wir sie hier geschrieben vor uns sehen.

Symbole insbesondere versteht die Zeichentheorie als Begriffszeichen, Ikons als sinnlich-ähnliche auf Gleichheiten beruhende Zeichen, vor allem Bilder, und Indices werden z. B. als Symptome und Verweisungen in kausalem Nexus zum Bezeichneten oder "Abgelesenen" aufgefasst. Spannend ist die Frage nach dem indexikalischen versus ikonischen Charakter der Bildbestandteile von Ulrich Wagners Arbeiten. Anzeichen sind die Basis für Bildergenerierung bei Wagner - jedenfalls der Subzeichen, die zu Zeichen höherer Ordnung zusammentreten (vergleichbar Rasterpunkten beim Fotodruck).

Ulrich Wagner setzt vornehmlich artistische und halbtechnische Zeichen. In seinen Arbeiten sind die indexikalischen Anzeichen nun aber abstrakter als die bildlichen ikonischen Zeichen. Bildliche, ähnliche Zeichen hingegen werden von Betrachtern als "Zäune" bezeichnet - sie fungieren als Grenzanzeiger, andere Balken und Dreiecke als Richtungsanzeiger. Steuerungs- und Regelungszeichen für den "Lesevorgang" sind Trennstriche, Zeichen für die Interpunktion, und diese haben operationalen Sinn. Wenn ein Bild ein Merkmal gemeinsam mit irgend etwas hat - dann mit dem Wahrnehmungsmodell von Abgebildetem und Bild als tertium comparationis und nicht etwa mit dem wiedergegebenen Ding für sich. Ein Pferd hat keine Umrisslinie.

Und das Messer kann sich nicht schneiden, es ist selbst nicht ausgeschnitten. Das einzige, offensichtlich bildliche Zeichen im engeren Sinne bei Wagner ist das des Messers - aber nicht "das Messer auf dem Tisch". Mich hat es alsogleich, aber eben fälschlicherweise an Hieroglyphen erinnert. Bei Dorothea Eimert fand ich das Stichwort "Hieroglyphe" wieder, was auch sie als unzutreffend zurückweist. Um abstrahierte Bildzeichen könnte es sich bei Pfeilen, Säulen, Zäunen handeln. Messer sind für Wagner verknüpft mit frühen Erfahrungen und mit Erinnerungen an offene Aggressivität - davon seien sie inzwischen entleert, auch seien sie verallgemeinert.

Ideogramme als Schriftzeichen sind ursprünglich Bilder, verallgemeinert zur Bezeichnung von "lnbegriffen" ihrer Gegenstände (Die relative Unabhängigkeit der ideogrammatischen chinesischen Schrift machte sie für überregionale Kommunikation in jenem Riesenreich ihrem imensen Repertoire zum Trotz so praktikabel). Unsere Schrift ist dementgegen eine doppelte Repräsentation und eben nicht eine Bilder-, sondern eine Laut-Begriffsschrift, die zunächst die gesprochene Sprache verzeichnet, erst diese gesprochene Sprache bezieht sich auf die gemeinten Sachen, die Dinge, Ereignisse, Beziehungen.

Wagner vermeidet aber die konventionelle Ideogrammatik - abstrakte Ideogramme hingegen finden wir bei Diter Rot, Wolfgang Schmidt oder Hansjörg Mayer in der Kunst Anfang der 60er Jahre. Ohne dass er diese Vorläufer im einzelnen kennt, kann man gleichwohl bei Wagner die Hinwendung zu einer vergleichbaren abstrakten Ideogrammatik mit reduziertem, vermindertem oder zurückgeführtem Repertoire feststellen. Wir erhalten keine Schlüssel in die Hand gedrückt, Wagner kann wie jene Künstler eine Kodierung nicht preisgegeben, es gibt "nichts zu entschlüsseln". Private und individuelle Zuschreibung von Zeichenbedeutung mit Blick auf Bildzeichen oder aber Anzeichen, auf Ikons oder Indices, weist Wagner zurück.

Mag sein, dass das Unterschreiten von Schrift auch andere Begründungen beim Künstler hat, wenn wir etwa an die kindliche Kritzelschrift, ans "Scribbeln" von Graphikern und vor allem an die vielen Beispiele für Pseudoschrift oder vermeinte Schrift in der Kunst dieses Jahrhunderts denken (von Max Ernst, Christian Dotremont bis zu Unica Zürn).

Techniken, Instrumente und Medien Ulrich Wagners sind Filzschreiber, Acryl, mit Stoff bespannte und einfarbig bemalte Körper, in die mitunter seine Zeichen bei Medien- oder Mittelwechsel wandern. Filz-/Farbstiftzeichnung dienen der Markierung von Räumen oder in Räumen, teils sind es in die dritte Dimension gesetzte Zeichen. Auch das Buch fasst Wagner als Raum auf, durch das sich eine ganze Zeichnung ziehen kann.

Wagner nimmt Bezug auf Wahrnehmung im Raum, Bewegungen darin, Dimensionen von Raum; es gibt in Innenräume gesetzte oder in den Außenraum gelegte Zeichen. Einzelstücke gibt es kaum, sie sind für Reihen konzipiert; die Zeichen kommen nicht isoliert für sich, sondern als Bestandteile komplexerer Gebilde vor, in Reihungen, Abfolgen, Zeilen, Spalten - der Gesamteindruck von Einheit steht zur Debatte, wie nämlich die Grenzen überblickbar sind oder die Teile einen ganzen Raum ausfüllen. Bestimmt sind die Ordnungen durch freien Umgang mit Material, intuitiv aus Bausteinsystemen, aus Repertoires wiederholbarer Bestandteile. Arbeit am ganzen Stück ist kein Kriterium für ästhetische Produktion, besonders für künstlerische Arbeit mehr - ebensowenig wie individuelle Handschrift. Zwischen diesem Extrem und der industriellen Fertigung als Teilung der Arbeit ist das Ideal der "Mechanofaktur" Henryk Berlewis angesiedelt.

Auch an Laszlo— Moholy-Nagys "Telephonbilder" von 1922 ist zu denken. Vermeidung von Handschrift, nämlich von Indices für psychische Regungen, Entindividualisierung und Anonymisierung wird betrieben - der von Eimert verwendete Terminus "Niederschrift" erschien mir deshalb allerdings befremdlich.

Nehmen wir Bezug auf die Gestalt-Qualitäten und deren "Anmutungen": Ein schwarzer Kreis ist eine vollkommene Form. Das Quadrat als eine schwere Fläche, in Verbindung mit Assoziationen wie "Masse" und "Gewicht", sie scheinen "Druck auszuüben", sagt Wagner in Analogie oder Übertragung - eine Fläche an sich hat ja nicht die Eigenschaft, schwer zu sein.

Wagner nutzt die konstante, identische Zeichengestalt (type) und seine einzelne Realisation, dieses einzelne Zeichen jetzt und hier (token) - unserer Schrift vergleichbar. Ein A kann groß, schief, nass, grün, rauh ... notiert sein - es bleibt immer ein A.

Ästhetische Qualitäten von bildnerischen Realisaten sind an die Gegenwart der Zeichen gebunden - andererseits könnte ich ja im Bereich der Literatur ein Gedicht, ein Stück Prosa, ein Drama ... in den unterschiedlichsten Schriften setzen; die einzige Bedingung: sie müssen korrekt buchstabiert sein. Gerade die Qualität der Mittel ist für die künstlerische Arbeit entscheidend. Es ist eben ein prinzipieller Unterschied, ob Wagner in Papier arbeitet, oder ob er etwa auf Papier drucken würde.

Etwas anderes ist es, durch Vorweisen von Beispielen etwas klarzumachen. Ein Künstler wie Wagner arbeitet vorzeigend, darbietend, präsentativ - eben nicht generalisierend, diskursiv, definierend.

Teils ist Wagners Thematik Kommunikation. Zu bedenken gebe ich dabei, dass der Künstler mehr und anderes "bezeichnet" als der Betrachter sieht, welcher mehr und anderes wahrnimmt, als der Künstler "bezeichnet" hat. Missverständnisse und Verständigung stehen in dauerndem Widerstreit.

S. D. Sauerbier



Katalog: Ulrich Wagner - Zeichen, (Hrsg. Leopold-Hoesch-Museum und Günther-Peill-Stiftung, 1991)


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