Henrik Olesen
Anthologie de l'amour sublime

Der Künstler Henrik Olesen bespielt mit einer raumgreifenden Installation den gesamten linken Flügel des Erdgeschosses des Leopold-Hoesch-Museums.

Kennzeichnend für seine Installationen sind eine Fülle von verschiedenen Medien und Materialien - sogenannte Parerga [1] - ; inszenierte Beiläufigkeiten. Texte, Collagen und Gegenstände, die erst durch den Verstehensvollzug des Betrachters das Kunstwerk entstehen - erst in seinem Kopf konstituiert sich das Kunstwerk vollends.

In diesem Sinne entsprechen die Installationen Olesens der von Derrida [2] formulierten parergonalen Logik, die dem Philosophen und Kunsttheoretiker zufolge als Kennzeichen aller Kunst gilt.

Den Kern der für das Leopold-Hoesch-Museum in Düren entwickelten Installation Olesens bilden die bereits 2004 in der Wiener Secession gezeigten Recollagen von Max Ernst' Collagebüchern "La femme 100 tètes" und "Une semaine de bonté". Schon die Collagen Ernst' in "La femme 100 tètes" griffen auf die Bilderwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurück; als sie 1929 erschienen galten sie schon als Zeugnisse des vergangen Jahrhunderts und zugleich als Verweise auf die Kinder- und Jugendliteratur seiner Generation.

Welcher Veränderung werden diese Recollagen in der Dürener Ausstellung vollziehen?

Welche Kontexte und Assoziationen erschließen sich, wenn Olesen in seinen Recollagen Bildnisse in einem Haus - das Leopold-Hoesch-Museum wurde 1905 eröffnet - ausstellt, deren Entstehung und Anfangsjahre genau in diese Epoche fallen?

Und wie wird er den bereits 2003 im Sprengel Museum in Hannover begonnenen Weg ausgehend von Ernst' Collagebüchern weitergehen? Da sich Olesens Installationen und das Kunstwerk an sich - wie eingangs bereits erwähnt - erst vor Ort, im Kopf des Betrachters vollends entfaltet, werden sich diese Fragen auch erst am 15.10. in Düren beantworten lassen.

[1] Plural von altgriechischen parergon (Beiwerk, Nebenwerk).

[2] Jacques Derrida (* 15. Juli 1930 in El-Biar, Algerien; † 8. Oktober 2004 in Paris, Frankreich) war ein französischer Philosoph, der als Begründer und Hauptvertreter der Dekonstruktion gilt.

Materialien zu Ausstellung Henrik Olesen: ANTHOLOGIE DE L'AMOUR SUBLIME

Die Geschichte des Paragraphen 175 in Deutschland

Quelle: Wikipedia, die freien Enzyklopädie http://de.wikipedia.org

Kurzzusammenfassung:

Der linke Publizist Kurt Hiller veröffentlichte 1922 eine Aufsatzsammlung gegen den Paragraphen 175. Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs (¤ 175 StGB) existierte vom 15. Mai 1871 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1969 bestrafte er auch die "widernatürliche Unzucht mit Tieren", die ab 1935 nach Paragraph 175b ausgelagert wurde.

Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des Paragraphen 175 verurteilt.

1935 verschärften die Nationalsozialisten den Paragraphen 175 unter anderem durch Anhebung der Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis. Darüber hinaus wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche "unzüchtigen" Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte Paragraph 175a bestimmte für "erschwerte Fälle" zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.

Die DDR kehrte 1950 zur alten Fassung des Paragraphen 175 zurück, beharrte aber gleichzeitig auf einer weiteren Anwendung des Paragraphen 175a. Ab Ende der 1950er Jahre wurde einfache Homosexualität unter Erwachsenen nicht mehr geahndet. 1968 erhielt die DDR ein eigenes Strafgesetzbuch, das in Paragraph 151 homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe stellte. 1988 wurde dieser Paragraph ersatzlos gestrichen.

Die Bundesrepublik hielt zwei Jahrzehnte lang an den Fassungen der Paragraphen 175 und 175a aus der Zeit des Nationalsozialismus fest. 1969 kam es zu einer ersten, 1973 zu einer zweiten Reform. Seitdem waren nur noch homosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar. Nach einer gescheiterten Gesetzesinitiative der Grünen in den 80er Jahren wurde der Paragraph 175 im Zuge der Rechtsangleichung mit der ehemaligen DDR erst 1994 aufgehoben.

Im Volksmund wurden Schwule oft als 175er bezeichnet. Gleichzeitig nannte man den 17. 5. zahlenspielerisch den "Feiertag der Schwulen".

Ausführliche Dokumentation des Paragraphen 175 und seiner historischen Vorläufer

Die Vorgeschichte

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wandelte sich der Analverkehr zwischen Männern von einer zwar sündigen, aber meist völlig legalen Handlung zu einem Verbrechen, das fast überall in Europa mit der Todes-strafe belegt wurde. 1532 schuf Karl V. mit der Constitutio Criminalis Carolina für diese Rechtspraxis eine gesetzliche Grundlage, die im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Gültigkeit behielt. So hieß es dort in Paragraph 116: "Straff der Vnkeusch, so wider die Natur beschicht. Jtem so ein mensch mit einem Viehe, Man mit Man, Weib mit Weib Vnkeusch treibenn, die habenn auch das leben Verwurckt. Vnt man solle sy, der gemeynen gewohnheit nach, mit dem feure vom lebenn zum tode richtenn."

Im Jahre 1794 setzte Preußen als dritter Staat, nach …sterreich und Frankreich, mit der Einführung des Allgemeinen Landrechts die Todesstrafe auf eine Gefängnisstrafe herab. Paragraph 143 bestimmte: "Die widernatür-liche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren verübt wird, ist mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu vier Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen."

Damit war Preußen zu diesem Zeitpunkt noch Vorreiter, es wurde jedoch schon bald von anderen Ländern in der Entwicklung überholt. Der französische Code Civil von 1804 stellte nur noch solche Handlungen unter Strafe, die in die Rechte eines Dritten eingriffen, was zur vollständigen Legalisierung einvernehmlicher Sexualhandlungen zwischen Männern führte. Im Rahmen seiner Eroberungen exportierte Napoleon den Code Civil darüber hinaus in eine Reihe anderer Staaten wie zum Beispiel die Niederlande. Auch Bayern orientierte sich am französischen Vorbild und ließ in seinem Gesetzbuch von 1813 alle opferlosen Straftaten ersatzlos fallen.

Angesichts dieser Entwicklungen zeigte sich die preußische Regierung zwei Jahre vor der Reichsgründung über die Zukunft ihres Paragraphen besorgt und versuchte daher, ihn wissenschaftlich zu legitimieren. Die zu diesem Zweck vom Justizministerium beauftragte Deputation für das Medizinalwesen, der berühmte €rzte wie Rudolf Virchow und Heinrich Adolf von Bardeleben angehörten, sah sich jedoch in ihrem Gutachten vom 24. März 1869 außerstande, "irgend welche Gründe dafür beizubringen, dass, während andere Arten der Unzucht vom Strafgesetze unberücksichtigt gelassen werden, gerade die Unzucht mit Thieren oder zwischen Personen männlichen Geschlechts mit Strafe bedroht werden sollte".

Gleichwohl orientierte sich der von Bismarck im Jahr 1870 vorgelegte Strafrechtsentwurf für den Norddeutschen Bund an den einschlägigen preußischen Strafbestimmungen. Der Entwurf rechtfertigte dies mit der Rücksichtnahme auf die "öffentliche Meinung": "Denn selbst, wenn man den Wegfall dieser Strafbestimmungen vom Standpunkt der Medizin, wie durch manche der, gewissen Theorieen des Strafrechtes entnommenen Gründe rechtfertigen könnte; das Rechtsbewußtsein im Volke beurtheilt diese Handlungen nicht blos als Laster, sondern als Verbrechen [...]".

Die Entwicklung während des Kaiserreiches

Am 1. Januar 1872 wurde aus dem exakt ein Jahr zuvor in Kraft getretenen Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bunds das Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs. Damit war der Beischlaf zwischen Männern auch in Bayern wieder strafbar. Nahezu wortgleich mit seinem preußischen Vorbild aus dem Jahr 1794 bestimmte der neue Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB): "Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden."

Die Mindeststrafe wurde gegenüber Paragraph 143 des Allgemeinen Preußischen Landrechts von sechs Wochen auf einen Tag reduziert, die Höchststrafe bei sechs Monaten belassen. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte konnte u. a. in der Aberkennung des Doktortitels oder im Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts bestehen.

Schon in den 1860er Jahren hatten Einzelpersonen wie Karl Heinrich Ulrichs und Karl Maria Kertbeny erfolglos ihre Stimme gegen den preußischen Paragraphen 143 erhoben. Im Kaiserreich bildete sich mit dem 1897 gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) nun eine Honoratioren-Bewegung, die mit der These von der angeborenen Natur der Homosexuellen gegen den Paragraphen 175 vorzugehen versuchte. Eine auf dieser Argumentation aufbauende Petition des Arztes und WhK-Vorsitzenden Magnus Hirschfeld zur Streichung des Paragraphen 175 schaffte es 1897, 6.000 Unterschriften hinter sich zu versammeln. Ein Jahr später brachte sie der SPD-Vorsitzende August Bebel in den Reichstag ein. Der gewünschte Erfolg blieb jedoch aus. Stattdessen plante die Regierung gut zehn Jahre später, den Paragraphen 175 auch auf Frauen auszuweiten.

In ihrem "Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch" (E 1909) hieß es: "Die Gefahr für das Familienleben und die Jugend ist die gleiche. Daß solche Fälle in der Neuzeit sich mehren, ist glaubwürdig bezeugt. Es liegt daher im Interesse der Sittlichkeit wie der allgemeinen Wohlfahrt, daß die Strafbestimmungen auch auf Frauen ausgedehnt werden." (Zit. n. Stümke 1989: 50 f.)

Der Entwurf sollte nach den Berechnungen von Experten frühestens 1917 zur Abstimmung in den Reichstag gelangen. Der Erste Weltkrieg und der Untergang des deutschen Kaiserreichs machten ihn aber zur Makulatur.

Die Entwicklung während der Weimarer Republik

Ähnlich wie im Kaiserreich scheiterte in der Weimarer Republik die von den linken Parteien angestrebte Abschaffung des Paragraphen 175 an den fehlenden Mehrheitsverhältnissen. Aussichtsreicher waren dagegen die Pläne einer Mitte-Rechts-Regierung im Jahr 1925 zur Verschärfung des Paragraphen 175. Im vorgelegten Reformentwurf sollte zusätzlich zum Paragraphen 296, der sich mit dem alten Paragraphen 175 deckte, der Paragraph 297 geschaffen werden. Er sah vor, so genannte qualifizierte Fälle wie homosexuelle Prostitution, Sex mit männlichen Jugendlichen unter 21 Jahren sowie Missbrauch von Männern in einem Dienst- und Arbeitsverhältnis als "schwere Unzucht" und damit als Verbrechen statt als Vergehen einzustufen. Für diesen neuen Tatbestand sollten nicht mehr nur beischlafähnliche Handlungen relevant sein, sondern auch andere Formen der homosexuellen Betätigung wie beispielsweise gegenseitige Masturbation.

Zur Begründung der beiden neuen Paragraphen beriefen sich die Verfasser auf den Schutz der Volksgesundheit:

"Dabei ist davon auszugehen, daß der deutschen Auffassung die geschlechtliche Beziehung von Mann zu Mann als eine Verirrung erscheint, die geeignet ist, den Charakter zu zerrütten und das sittliche Gefühl zu zerstören. Greift diese Verirrung weiter um sich, so führt sie zur Entartung des Volkes und zum Verfall seiner Kraft." (Zit. n. Stümke 1989, 65 f.)

Als dieser Entwurf im Jahr 1929 vom Strafrechtsausschuss des deutschen Reichstags diskutiert wurde, gelang es KPD, SPD und DDP zunächst eine Mehrheit von 15:13 Stimmen gegen den Paragraphen 296 zu mobilisieren. Dies wäre einer Legalisierung der "einfachen Homosexualität" unter erwachsenen Männern gleichgekommen. Gleichzeitig wurde aber mit übergroßer Mehrheit - gegen nur drei Stimmen der KPD - die Einführung des neuen Paragraphen 297 (so genannte qualifizierte Fälle) beschlossen. Doch auch dieser Teilerfolg, den das sexualreformerische WhK als "einen Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück" charakterisierte, wurde im März 1930 zunichte gemacht, als der Interparlamentarische Ausschuß für die Rechtsangleichung des Strafrechts zwischen Deutschland und …sterreich mit 23:21 Stimmen den Paragraphen 296 wieder in das Reformpaket aufnahm. Zu dessen Verabschiedung kam es allerdings nicht mehr, da die Präsidialkabinette der frühen 30er Jahre das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren weitgehend zum Erliegen brachten.

Die Entwicklung während des Nationalsozialismus

Im Jahr 1935 verschärften die Nationalsozialisten den Paragraphen 175, indem sie die Höchststrafe im Zuge einer Neudefinition vom Vergehen zum Verbrechen von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis heraufsetzten. Durch Streichung des Adjektivs "widernatürlich" wurde die traditionsreiche Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen aufgehoben. Der Straftatbestand war nun erfüllt, wenn "objektiv das allgemeine Schamgefühl verletzt und subjektiv die wollüstige Absicht vorhanden war, die Sinneslust eines der beiden Männer oder eines Dritten [zu] erregen" (RGSt 73, 78, 80 f). Eine gegenseitige Berührung war nicht mehr erforderlich.

Darüber hinaus wurde - ähnlich wie bereits 1925 geplant - ein neuer Paragraph 175a geschaffen, der so genannte qualifizierte Fälle als "schwere Unzucht" mit Zuchthaus zwischen einem und zehn Jahren bestrafte. Hierzu zählten:

- die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses,

- homosexuelle Handlungen mit Männern unter 21 Jahren und

- die männliche Prostitution.

Die "widernatürliche Unzucht mit Tieren" wurde nach Paragraph 175b ausgelagert. In der amtlichen Begründung wurde die Novellierung des Paragraphen 175 mit dem Interesse an "der sittlichen Gesunderhaltung des Volkes" gerechtfertigt, denn "erfahrungsgemäß" habe Homosexualität die "Neigung zu seuchenartiger Ausbreitung" und übe "einen verderblichen Einfluß" auf die "betroffenen Kreise" aus.

Tatsächlich war die Novellierung eine Folge des sogenannten Röhm-Putsches, der von den Nationalsozialisten auch dazu genutzt wurde, das Ansehen in der wertkonservativen und vor allem katholischen Bevölkerung reinzuwaschen. Die Homosexualität von Ernst Röhm war in der Bevölkerung ein offenes Geheimnis, und es gab auch ein Gerücht über ein Verhältnis des Reichsjugendführers Baldur von Schirach zu dem Hitlerjungen Jürgen Ohlsen, der in dem Film Hitlerjunge Quex die Hauptrolle gespielt hatte; quexen war als umgangssprachlicher Begriff für Sexualität zwischen Männern und Jungen sogar weit verbreitet. Mancher, der in den antichristlichen Zielen der Nationalsozialisten gar einen beginnenden Wertewandel zu mehr sexueller Freiheit gesehen hatte, wurde durch Röhm-Putsch und die Verschärfung des Paragraphen 175 eines anderen belehrt.

Diese Verschärfung zog eine Verzehnfachung der Zahl der Verurteilungen auf jährlich 8.000 nach sich. Allein zwischen 1937 und 1939 wurden fast 100.000 Männer in der geheimen Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung erfasst. Etwa die Hälfte der tatsächlich ausgelösten Verfahren resultierte dabei aus privaten Anzeigen Nichtbeteiligter (ca. 40 Prozent) sowie aus Anzeigen von Betrieben und Behörden (ca. 10 Prozent). So bekam zum Beispiel die Gestapo 1938 folgenden anonymen Brief:

Fernschreiben der Gestapo mit Anordnung der Schutzhaft gegen einen "unverbesserlichen Homosexuellen"

"Wir - ein großer Teil des Künstlerblockes am Barnayweg - bitten dringend, den als Untermieter bei Frau F [...] wohnenden B. zu beobachten, der in auffallender Weise täglich jugendliche Burschen bei sich hat. So geht das nicht weiter. [...] Wir bitten herzlichst, die Sache weiter zur Beobachtung zu geben." (Zit. n. Pretzel 2000, 23)

Im Unterschied zur Kriminalpolizei konnte die Gestapo jederzeit Schutzhaft gegen schwule Männer anordnen. Diese Willkürmaßnahme wurde z. B. nach einem Freispruch angewandt oder wenn die bereits verbüßte Haftstrafe als zu milde bewertet wurde. Die Kriminalpolizei verfügte stattdessen über das Mittel der Vorbeugehaft. Hiervon betroffen waren so genannte gefährliche Sittlichkeits- sowie Berufsverbrecher. Ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamts vom 12. Juli 1940 bestimmte pauschal, "alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen". Nur ca. 40 Prozent jener etwa 10.000 Männer, die aufgrund eines Vorbeugungs- oder Schutzhaftbefehls in ein Konzentrationslager eingewiesen und mit dem grünen oder dem rosa Winkel gekennzeichnet wurden, gelang es, das Lagersystem zu überleben. Einige von ihnen wurden nach ihrer Befreiung durch die Alliierten zurück an ein Gefängnis überstellt, weil sie ihre Freiheitsstrafe nach dem weiterhin gültigen Paragraphen 175 noch nicht fertig verbüßt hatten.

Nachkriegszeit: Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR

In der SBZ war die Rechtsentwicklung uneinheitlich. Während die Regierung von Thüringen 1945 eine Abmilderung der Paragraphen 175 und 175a beschloss, die in etwa dem Strafrechtsentwurf von 1925 entsprach, galt in den anderen Ländern die Fassung von 1935 unverändert fort. 1946 riet der Juristische Prüfungsausschuss des Magistrats von Groß-Berlin zwar, den "¤ 175 StGB in ein neues Strafrecht nicht zu übernehmen", diese Empfehlung blieb jedoch folgenlos. Für Sachsen-Anhalt entschied das Oberlandesgericht (OLG) Halle im Jahr 1948, dass die Paragraphen 175 bis 175b typisch nationalsozialistisches Unrecht seien, weil sie eine fortschrittliche Rechtsentwicklung abgebrochen und in ihr Gegenteil verkehrt hätten. Homosexuelle Handlungen seien daher ausschließlich nach dem Strafrecht der Weimarer Republik zu verurteilen.

Ein Jahr nach der Republikgründung von 1949 entschied das Kammergericht Berlin für die gesamte DDR, dass der Paragraph 175 in der alten, bis 1935 gültigen Fassung anzuwenden sei. Jedoch hielt es im Unterschied zum OLG Halle unverändert am neuen Paragraphen 175a fest, weil er dem Schutz der Gesellschaft gegen "sozialschädliche homosexuelle Handlungen qualifizierter Art" diene. 1954 entschied dasselbe Gericht, dass Paragraph 175a im Unterschied zu Paragraph 175 keine beischlafähnlichen Handlungen voraussetzt. Unzucht sei jede zur Erregung der Geschlechtslust vorgenommene Handlung, "die das Sittlichkeitsgefühl unserer Werktätigen verletzt".

Durch das Strafrechtsänderungsgesetz von 1957 wurde die Möglichkeit geschaffen, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn eine gesetzwidrige Handlung mangels schädigender Folgen keine Gefahr für die sozialistische Gesellschaft darstellt. Dies setzte den Paragraph 175 faktisch außer Kraft, da das Kammergericht Berlin gleichzeitig urteilte, "daß bei allen unter ¤ 175 alter Fassung fallenden Straftaten weitherzig von der Einstellung wegen Geringfügigkeit Gebrauch gemacht werden soll". Homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen blieben daher ab Ende der 50er Jahre straffrei.

1968 gab sich die DDR ein eigenes Strafgesetzbuch. In ihm bestimmte der neue ¤ 151 StGB-DDR eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Verurteilung auf Bewährung für einen Erwachsenen, der mit einem Jugendlichen gleichen Geschlechts "sexuelle Handlungen vornimmt". Aufgrund der nicht länger geschlechtsbezogenen Formulierung erfasste das Strafgesetz nun auch Sex zwischen Frauen und Mädchen unter 18 Jahren.

Am 11. August 1987 hob das Oberste Gericht der DDR ein Urteil wegen Paragraph 151 mit der Begründung auf, dass "Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet." Ein Jahr später strich die Volkskammer der DDR in ihrem 5. Strafrechtsänderungsgesetz den Paragraphen 151 ersatzlos. Das Gesetz trat am 30. Mai 1989 in Kraft.

Von diesem Zeitpunkt an galt allein ¤ 149 StGB-DDR (Einfacher Missbrauch), der ein einheitliches Schutzalter für homo- und heterosexuelle Handlungen von 16 Jahren vorsah.

Nachkriegszeit: Entwicklung in der BRD

Schon vor der Gründung der Bundesrepublik hatte in den westlichen Besatzungszonen kaum ein Zweifel an der Fortgeltung der Paragraphen 175 und 175a in ihrer Fassung von 1935 bestanden. 1949 wurde nun auch offiziell alles bis dahin geltende Recht übernommen, "soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht" (Art. 123 Abs. 1 GG). In einer Reihe von Entscheidungen schloss sich der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Auslegung des Paragraphen 175 der Rechtsprechung des Dritten Reichs an, wonach der Tatbestand der Unzucht keine gegenseitige Berührung voraussetzt. Bestraft werden könne auch gleichzeitige Onanie oder der Zuschauer beim Triolenverkehr. Allerdings wurde aus dem Merkmal "Treiben" abgeleitet, dass das Handeln "stets eine gewisse Stärke und Dauer haben" müsse. Auf dieser Grundlage kam es zwischen 1950 und 1969 zu mehr als 100.000 Ermittlungen und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen.

Während einige Richter große Bedenken hatten, den ihrem Rechtsempfinden widersprechenden Paragraphen 175 anzuwenden - so verurteilte 1951 das Landgericht Hamburg zwei homosexuelle Männer lediglich zu einer Ersatzgeldstrafe von 3 DM -, legten andere besonderen Ehrgeiz bei der Strafverfolgung an den Tag. Eine Verhaftungs- und Prozesswelle in Frankfurt zeigte 1950/51 erschütternde Folgen: "Ein Neunzehnjähriger springt vom Goetheturm, nachdem er eine gerichtliche Vorladung erhalten hat, ein anderer flieht nach Südamerika, ein weiterer in die Schweiz, ein Zahntechniker und sein Freund vergiften sich mit Leuchtgas. Insgesamt werden sechs Selbstmorde bekannt. Viele der Beschuldigten verlieren ihre Stellung." (Kraushaar 1997, 62).

1955 reichten zwei Männer Verfassungsbeschwerde ein mit der Begründung, dass die Paragraphen 175 und 175a schon allein deshalb nichtig seien, weil sie auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes erlassen worden seien. Außerdem verstießen sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter. Am 10. Mai 1957 wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde zurück (BVerfGE 6, 389). Die beiden Paragraphen seien "formell ordnungsgemäß erlassen" worden und "nicht in dem Maße ‚nationalsozialistisch geprägtes Recht’", dass ihnen "in einem freiheitlich-demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse". Die unterschiedliche Behandlung männlicher und weiblicher Homosexualität wurde auf biologische Gegebenheiten und das "hemmungslose Sexualbedürfnis" des homosexuellen Mannes zurückgeführt. Als zu schützendes Rechtsgut wurden "die sittlichen Anschauungen des Volkes" genannt, die sich maßgeblich aus den Lehren der "beiden großen christlichen Konfessionen" speisten.

Fünf Jahre später rechtfertigte der unter Konrad Adenauer vorgelegte Regierungsentwurf eines Strafgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (E 1962, BT-Drs. IV/650) die Aufrechterhaltung des Paragraphen 175 wie folgt:

"Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde." (Zit. n. Stümke 1989: 183 f.)

Durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 wurde kurz vor Ende der Großen Koalition von Bundeskanzler Kiesinger der Paragraph 175 reformiert, indem nur noch die qualifizierten Fälle (Sex mit einem Unter-21-Jährigen, homosexuelle Prostitution und Ausnutzung eines Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnisses) erhalten blieben, die vorher durch Paragraph 175a geregelt worden waren. Wie dieser entfiel nun auch Paragraph 175b (Sodomie). Die €nderungen traten am 1. September 1969 in Kraft.

Am 23. November 1973 führte die sozialliberale Koalition schließlich eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts durch. Der entsprechende Abschnitt im StGB wurde von "Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" in "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" umbenannt. Ebenso wurde der Begriff der Unzucht durch den der "sexuellen Handlungen" ersetzt. Im Paragraphen 175 blieb nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurück, wobei man das so genannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkte. Sexuelle Kontakte zwischen Frauen fanden im Strafgesetz keine Erwähnung. Für Mädchen galt ein Schutzalter von 14 Jahren. Mit dem damaligen ¤ 182 konnte auf Antrag eines Erziehungsberechtigten der sexuelle Kontakt eines erwachsenen Mannes mit einem Mädchen zwischen 14 und 16 geahndet werden.

1986 brachten der erste offen schwule Bundestagsabgeordnete Herbert Rusche zusammen mit seiner Fraktion, den Grünen, einen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag ein, der die Streichung der Paragraphen 175 und 182 vorsah. Dies hätte die bestehende Ungleichbehandlung aufgehoben und das Schutzalter für alle einheitlich bei 14 Jahren festgelegt. Sowohl die damalige Regierungskoalition aus CDU und FDP als auch die SPD lehnten diesen Gesetzentwurf ab, was zu einem Weiterbestehen des Paragraphen 175 in der Fassung von 1973 bis zum Jahre 1993 führte. Einer der prominentesten Gegner einer Verbesserung der Rechtslage für Homosexuelle war Bundeskanzler Helmut Schmidt, der mit dem deutlichen Satz "Ich bin Kanzler der Deutschen, nicht Kanzler der Schwulen" eine Reform des Sexualstrafrechts kategorisch ablehnte.

Entwicklungen nach 1990: Die Streichung des Paragraphen 175

Im Zuge der Rechtsangleichung zwischen den beiden deutschen Staaten nach 1990 musste sich der Bundestag entscheiden, ob er den Paragraphen 175 streichen oder ihn in der bestehenden Form auf die östlichen Bundesländer ausweiten wollte. Im Jahr 1994, mit Ablauf der Frist für die Rechtsangleichung, entschied man sich - auch angesichts der inzwischen eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen - den Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Das absolute Schutzalter für sexuelle Handlungen wie beispielsweise Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen wurde einheitlich auf 14 Jahre festgelegt (¤ 176 StGB); in besonderen Fällen gilt gemäß ¤ 182 StGB ein relatives Schutzalter von 16 Jahren. Ein Verstoß gegen ¤ 182 Absatz 2 StGB wird gemäß ¤ 182 Absatz 3 StGB im Gegensatz zu einem Verstoß gegen ¤ 176 StGB grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt (Antragsdelikt). Ausnahmen sind aber möglich, wenn die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse als gegeben ansieht. Gemäß ¤ 182 Absatz 4 StGB kann das Gericht von Strafe absehen, wenn das Unrecht der Tat als gering eingeschätzt wird. Als problematisch gilt die Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe im ¤ 182 StGB, die der Rechtssicherheit abträglich sein könnte. €hnlich wie beim ¤ 207b StGB-…sterreich wird von vielen die Gefahr gesehen, dass vom sozialen Umfeld unerwünschte Beziehungen hiermit kriminalisiert werden könnten. In …sterreich wurde mit der Streichung des dortigen ¤ 209 StGB und der Einführung des ¤ 207b StGB eine analoge Entwicklung vollzogen.

Teilweise Rehabilitierung der Opfer

Symbolisch auf den 17. Mai gelegt, beschloss der Bundestag im Jahr 2002 gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP eine Ergänzung des NS-Aufhebungsgesetzes (BT-Drs. 14/8276, 14/9092; Plenarprotokoll 14/237 S. 23734 ff.). Damit wurden die Urteile gegen Homosexuelle und Wehrmachts-Deserteure in der Zeit des Nationalsozialismus für nichtig erklärt. Der rechtskonservative CSU-Politiker Norbert Geis bezeichnete die generelle Aufhebung als "Schande", bezog sich dabei, wie im Plenarprotokoll nachzulesen, jedoch nicht auf die Aufhebung der Verurteilungen wegen homosexuellen Handlungen, sondern gegen die Aufhebungen von Urteilen wegen Desertierens. Kritik wurde jedoch auch von der Lesben- und Schwulenbewegung laut, da der Bundestag die Urteile nach 1945 unangetastet ließ, obwohl die Rechtsgrundlage bis 1969 die gleiche war.

Eine ausführliche Dokumentation der verschiedenen Fassungen des Paragraphen, Literaturverweise und Statistiken finden sich unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Paragraph_175.



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