Christa Feuerberg

„Der Spiegel ist ganz in sich gekehrt“. Irgendwo in den Skizzenbüchern Christa Feuerbergs las ich diesen Satz. Ein flüchtiger Gedanke, wie es schien, hingeschrieben und eins geworden mit den graphischen Notizen beobachteter Wirklichkeit: Erinnerungen an Orte und Plätze sind hier rasch gesetzte Zeichen. Naturstudien dokumentieren die wahrgenommene Realität nicht präzise, sondern verarbeiten Gesehenes frei, zu einem Gespinst leichter, tänzerisch bewegter Linien. Der Satz steht mittendrin. Er setzte sich fest, bei aller Beiläufigkeit, und wirkt nun wie ein Programm.

„Der Spiegel ist ganz in sich gekehrt“. Es geschieht nicht häufig, dass einem das Doppeldeutige eines Begriffs zum Schlüssel einer künstlerischen Sprache wird: Der Spiegel, ein Instrument, dafür gemacht, das Bild der Wirklichkeit aufzunehmen und zurückzuwerfen, wendet sich nach innen. Das heißt, er reflektiert das Aufgenommene allein nicht unmittelbar, nicht im üblichen Sinne. Er nimmt es vielmehr auf, um es bei sich zu behalten, vorläufig jedenfalls – auch dies ein Reflexionsvorgang.

Ohne den Zufalls-Fund im Skizzenbuch hätte ich die suggestiven Bleiarbeiten Christa Feuerbergs wohl als kühle und klare Objekte beschrieben, die in den Raum eingreifen und auf die sie umgebende Architektur antworten. Unübersehbar ist, dass sie Wände bilden können, aber auch Gewänder. Sie lassen zudem Erinnerungen aufkommen, an Masken, an Rüstungen, an archaische Mittel zur Abschirmung. Als Installationen bilden diese Objekte gebaute Szenarien. Als Folge von Einzelformen stellen sie strukturelle Zusammenhänge her. Wobei das Material, diese bleierne Schwere, dank lichthaltiger, bewegter Oberflächen eine dynamisierte Leichtigkeit gewinnt.

Das Bild des in sich gekehrten Spiegels gibt den Objekten eine weitere Dimension: Zum einen erscheinen sie als Reflexionsflächen des Lichtes – bläulich, graudunkel schimmernd, ständig Veränderungen ausgesetzt, zu jeder Zeit des Tages und auf die Dauer. Zum anderen bieten sie den Gedanken einen Ort, sind offen und verschlossen zugleich, der Künstlerin ein Spiegel und dabei auch Spielraum für den Betrachter. Die Helm-Formen, die Masken-Erinnerungen, die von mittelalterlichen Tanzmänteln inspirierten Schnittmuster-Teile haben eine hintergründige Tiefe, eine untergründige Kraft. Die auf Holzrahmen aufgebrachte Blei-Folie – ein Werkstoff, wie ihn auch der Dachdecker benutzt – wird zum spirituellen Material. Von Bewegungen durchpulst, von Lötspuren durchzogen, angegriffen und bezeichnet von Händen, die pressen und drücken, trägt es die reflektierenden, formenden Kräfte der Künstlerin weiter.

„Blei ist biegsam“, hat Christa Feuerberg in einem Interview gesagt, „ich kann es dehnen, strecken, sehr leicht verletzen, zerschneiden. Es reagiert beinahe wie ein Stück Stoff. Auf der anderen Seite reizt mich die Dichte des Materials ... eben die Konzentration von Gewicht. Und dazu kommt noch, dass es auf eine ganz merkwürdige Art Licht einfangen kann...“

Blei ist biegsam und glücklicherweise nicht ein Stück Stoff, das sich willenlos drapieren ließe. Es setzt der formenden Hand seinen eigenen Widerstand entgegen; es lockt zur gespannten großen Form. Es wird bei Christa Feuerberg zum Raum-Zeichen, das nicht allein für sich selbst existiert, sondern als Reflexion in der Geschichte verankert ist. „Ich will die Bezogenheit mit einbauen. Auch ich bin irgendwo ein Stück Geschichte... Das ist da, und ich greife deswegen auch bewusst Bezüge zu früheren Epochen auf, zu denen sich ein starker Kontrast herstellt, und missbrauche dies natürlich im gleichen Moment, indem ich es zu meinem Stück Geschichte mache. Ich unterwerfe es mir ganz bewusst“.

Der in sich gekehrte Spiegel. Die Verbindung zu Formen, die Geschichte in sich tragen. Realität, die sich in Zeichen verwandelt: Als Gegenpol zu den Bleiarbeiten haben die Zeichnungen in der Arbeit Christa Feuerbergs entschiedenes Gewicht. Leicht wirken sie, von Rhythmen getragen, aus der Natur fortentwickelt, aus der kleinen in die große Form transponiert. Körperhafte Improvisationen, Ausblicke in die Weiten des Weltraums, Varianten eines Bewusstseins, das Leben als Bewegung begreift und als immerwährende Verwandlung, sind diese Zeichnungen nicht Gegenbilder zur „bleiernen Zeit“ der Metall-Objekte. Sie sind deren leichthändige Ergänzung, lichterfüllt auch sie und dazu beschwert vom Schwarz der aufgebrachten Pigmentschichten, von den Erdfarben auf fragilen Papieroberflächen. Die Linie strebt in den Raum, sie umgreift ein Motiv und macht sich selbständig: Die Zeichenspur auf dem Japan-Papier und die Lötspur auf der Blei-Fläche haben etwas gemeinsam. Sie sind Zeichen reflektierenden Umgangs mit der eigenen Wirklichkeit, mit Körper und Atem – die Antworten des Spiegels.

Ursula Bode



Katalog: Christa Feuerberg - Verbindung (Hrsg. Leopold-Hoesch-Museum und Günther-Peill-Stiftung, 1991)





Günther-Peill-Stiftung | Hoeschplatz 1 | 52349 Düren | fon 02421 2525 61 | fax 02421 2525 60 | email